Verfasst am: Mo, 23.Aug 2010, 01:38 Titel: Unangezogene für den ersten Contergan-Kalender
Fernsehkritik: „NoBody’s Perfect“ (ARD)
Ein Journalist, mit Bierbauch, mit Brille, mit Glatze, überredet Menschen sich nackt auszuziehen und sich fotografieren zu lassen. Eine solche Versuchsanordnung hätte eigentlich besser auf einem Prekariatssender seine Heimat gefunden, nicht jedoch bei diesem Experiment. Denn die Auszieh-Angequatschen sind allesamt, so wie auch der auf die Pirsch gehende Journalist, durch das Medikament Contergan geschädigt, sind von Geburt an anders zu Welt gekommen. Mussten lernen gesundheitliche Einschränkungen hinzunehmen und haben äußerlich sichtbar verkürzte Arme. Ob der Journalist wohl elf temporäre Exhibitionisten findet, die sich mit ihm für einen Kalender nackig machen?
Es ist äußerst unterhaltsam den Anbahnungsgesprächen beizuwohnen. Fast alle sind begeistert von der Idee, sich nackt der Öffentlichkeit zu präsentieren, um zu beweisen, dass sie mehr wie spitze Schultern und reduzierte Armlängen sind. „Ich bin sehr glücklich mit meinem Körper. Für die Bilder gehe ich natürlich vorher noch in Fitnessstudio. Will ja gut aussehen“, offenbart ein Ausziehwilliger und stellt dem identisch behinderten Journalisten eine indiskrete Gegenfrage: „Hast du eigentlich einen kleinen Penis?“ Woraufhin er grandios kontert mit dem Einwand, dass das vom Wetter abhängig sei. Es gibt bedrückende, traurige und tragische Momente in den Kurzinterviews, wobei vor allem die Ehrlichkeit der Befragten einen tiefen Eindruck bei uns Zuschauer hinterlässt. „Hast du schon mal an Selbsttötung gedacht? (nein) Hast du dich mit deinem Schicksal akzeptiert? (ja, aber ich mach das Beste daraus) Was war der traurigste Moment deines Lebens? (als mich meine Frau verließ)“
Der Autor der Dokumentation stellt seinen Damen und Herren, von denen er im Grunde ja nur will, dass sich endlich entblößen, kluge Fragen: es ist nicht bei allen Menschen irgendwann ratsam zuzugeben, dass wir nicht in Kontrolle ist?
Contergan kam als Schlaf- und Beruhigungsmittel auf den Markt. Ein Schlafmittel, von dem man nicht süchtig werden konnte. Von den Nebenwirkungen wusste die Herstellerfirma angeblich nach einiger Zeit, verheimlichte sie aber, so behaupten die Betroffenenverbände, um ihren sensationellen Verkaufsschlager nicht vom Markt nehmen zu müssen. Es habe nie eine Entschuldigung der Besitzerfamilie gegenüber den Geschädigten oder den konsumierenden Eltern gegeben, die dies bitter nötig gehabt hätten, weil der damalige Zeitgeist den Eltern die Schuld an ihrem unvollkommenen Kind zuschob. Das klingt bitter. Und die Wortwahl der Contis, wie sie sich selbst liebevoll nennen, ist nie diplomatisch, immer ehrverletzend gegenüber der Besitzerfamilie. Das hat gute Gründe und ist nur zu verständlich. Als Nichtbetroffener stellt sich mir da die Frage, ob es nicht klüger wäre respektvoll zu versuchen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Ihre Wut, um das eigene Leid, muss noch durch viele offene seelische Wunden genährt werden.
Warum wir dann geschlagene zwanzig Minuten dem Prozedere des Aktshootings beiwohnen müssen ist mir gelinde gesagt ein Rätsel? Es ist langatmig, langweilig, auch wenn es der Regisseur mit dramatischer Musik und feschen Schnitten etwas aufzupeppen versucht, verliert man als Zuschauer die Geduld.
„Geschmacklos. Nackter Mann mit verkrüppelten Armen ist für mich abstoßend. Und das Kinder, die hier rumlaufen, diese Fotos sehen, das find ich nicht gut“, sagt ein Passant in der Kölner Fußgängerzone, auf der man die Aktfotos in Lebensgröße aufstellte. Das Großbild, worauf der nackte Filmemacher zusammen mit seiner Tochter posierte, schenkt er am Pförtnereingang dem Firmenchef des Unternehmens, das für seinen heutigen Körperstatus verantwortlich ist. Die Mitarbeiter sind ob des sehr selbstbewussten Auftretens des Contis sichtlich peinlich berührt und versucht, nur ja politisch korrekt aufzutreten.
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